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Hohes Poten­tial und Lernschwierigkeiten

Merkmale eines hohen Potentials

  • Früh auftretende ungewöhnlich ausgeprägte Wachsamkeit
  • Schnelle Auffassungsgabe und rasches Denken
  • Gute Merkfähigkeiten und starkes Erinnerungsvermögen
  • Abstraktes, komplexes, logisches und schlussfolgerndes Denken
  • Lange Aufmerksamkeitsspannen, Ausdauer und intensive Konzentration
  • Ungeduld mit sich selbst oder mit anderen
  • Hohes Mass an Neugierde, z.B. viele Fragen, die weit über den Unterrichtsstoff hinausgehen


Diese Merkmale weisen auf besondere intellektuelle Bedürfnisse dieser Kinder hin. Und wir beobachten, dass Kinder mit diesen Bedürfnissen in der Regel auch sehr autonomiebestrebt und selbstbestimmt sind. Zudem bevorzugen sie ein hohes Vermittlungstempo und komplexe Aufgabenstellungen. Wiederholungen benötigen sie weniger als andere Kinder. Diese Lern- und Persönlichkeitsbedürfnisse geben wichtige Hinweise darauf, welche Aspekte bei der Begabtenförderung, bei der lerntherapeutischen Begleitung und bei der Begleitung nach der Marte Meo-Methode im Zentrum stehen sollten. Gute Hinweise, wie Eltern und Fachleute mit diesen Bedürfnissen umgehen und wie sie ihre Kinder begleiten können, geben Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund in ihrem Blogartikel «Hochbegabung Tipps für Eltern». Darin setzten sie sich zudem vertiefter mit der Thematik Hochbegabung auseinander.

Mögliche Lernschwierigkeiten

In unseren beiden Lernpraxen Artcoaching Berweger und Schreibstrom begleiten wir Kinder, die neben einem hohen Potential mit unterschiedlichen Lernschwierigkeiten und auch Diagnosen konfrontiert sind, am häufigsten mit ADS/ADHS, LRS und ASS. Das sind Herausforderungen, die Kinder mit diesen besonderen Lernbedürfnissen zu bewältigen haben. Hierin die Lernenden zu unterstützen ist selbstverständlich notwendig, jedoch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass diese Kinder ihre Begabung genauso mitbringen wie ihre Lernschwierigkeit. Die doppelt differenzierte Herangehensweise ist bei der Förderung und Lernbegleitung deshalb ganz wichtig.

Susan Baum und Robin Schader haben bei ihrer Zusammenstellung der Herausforderungen und Stärken, die ADS/ADHS, Legasthenie und ASS gepaart mit einem hohen Potential mit sich bringen, auf eine konsequent stärkenorientierte Formulierung der Lernschwierigkeiten geachtet. Damit bieten sie eine ganz andere, neue Perspektive auf diese Diagnosen und Herausforderungen, die fast schon einem Paradigmenwechsel gleichkommen könnte.

Wir finden, dass diese Zusammenstellung inspirierend und hilfreich sein kann, um die Komplexität der TE-Lernenden zu verstehen und als Lernbegleiterinnen selbst Ideen für eine doppelte Differenzierung (gleichzeitige Förderung der Begabung und dem Ausgleichen der Schwächen) zu entwickeln:

ADHS

«ADHS kann als ein Gehirn mit einer sehr niedrigen Langeweile-Schwelle verstanden werden. Menschen, die sich gegen das Alltägliche und die Routine wehren, und doch zeichnen sie sich in chaotischen Situationen aus.» (Archer, 2015)

Herausforderungen:

  • leicht ablenkbar, selektiv aufmerksam, Schwierigkeiten beim Erledigen von Aufgaben
  • hyperaktiv, braucht Stimulation und Bewegung
  • oft impulsiv und «unorganisiert»

Stärken:

  • oft kreativ, intuitiv, Gespür für Innovation und unkonventionelles Denken
  • hat oft viel Energie
  • oft neugierig, bereit, ein Risiko einzugehen, sich auf Abenteuer einzulassen, nach neuem zu suchen

Legasthenie

«Legasthenie ist eine Fähigkeit innerhalb des Sinnesmechanismus im Nervensystem, die Welt mit einer mehrdimensionalen Sichtweise wahrzunehmen. Richtig ausgebildet und informiert können Legastheniker ihre natürlichen Fähigkeiten nutzen, um die Wahrnehmung zu verändern, die Kreativität zu fördern, das Denken zu verfeinern und die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern.» (Judah, www.dyslexiacenter.com/about-us)

Herausforderungen:

  • Schwierigkeiten bei der Dekodierung der Schriftsprache
  • oft Schwierigkeiten in Rechtschreibung und mit der Handschrift
  • Probleme beim Auswendiglernen von Fakten und Details

Stärken:

  • oft metaphorisches Denken, Verbindungen zwischen den Ideen herstellen, Wahrnehmung von Dingen, die anderen entgehen
  • Dinge in 3D-Raumperspektive visualisieren, kann wie ein Architekt, Ingenieur oder Filmemacher denken
  • narrativ begründen, durch die Erinnerung an Geschichten, Episoden und Konzepte argumentieren

Autismus-Spektrum-Störung

«Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) haben oft einzigartige Herausforderungen zu bewältigen, wenn es darum geht, Routinen und Beziehungen aufzubauen, die funktional und erfüllen sind (...). In dem Masse, wie unser Wissen und Verständnis von ASS zunimmt, wächst auch unsere Einsicht in die Stärken von ASS: Detailgenauigkeit, Problemlösefähigkeit, Erinnerungsvermögen und visuelle Fähigkeiten.» (Panzano 2018)

Herausforderungen:

  • oft nicht in der Lage, das Grosse und Ganze zu erfassen
  • oft soziale Unbeholfenheit und mangelnde soziale Kenntnisse
  • unflexibel im Denken, benötigt Voraussehbarkeit und Routine

Stärken:

  • oft sachkundig, kompetent und leidenschaftlich in einem bestimmten Interessengebiet, dort hohe Motivation
  • intensive Konzentration auf Details und Verfahren
  • neigt bei der Entscheidungsfindung zu logischen Kriterien ohne Rücksicht auf Emotionen

Quelle der Zusammenstellung oben: Baum, S., Schader, R., 2021, S. 591.

Erstaunliche Zahlen

Susan Baum fand in ihren Forschungen heraus, dass bis zu 33 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die eine sonderpädagogische Förderung erhalten entweder im Verbal- oder im Handlungsteil einen Intelligenzquotienten im oberen Segment der Intelligenzskala aufwiesen.[i]

Diese Lernenden wurden weder als begabt identifiziert noch erhielten sie eine Förderung, wie sie den Begabten ohne Lernbeeinträchtigung zukamen.[ii] Dass hier ein Handlungsbedarf besteht, ist offensichtlich.

[i] Baum, S., Schader, R., 2021, S. 591.

[ii] Baum, S., Schader, R., 2021, S. 592.

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